Berwangen (Baden-Württemberg)

Heilbronn (Landkreis) Karte Berwangen mit derzeit ca. 1.400 Einwohnern ist seit 1971 ein Ortsteil von Kirchardt im Landkreis Heilbronn - knapp 20 Kilometer westlich von der Kreisstadt gelegen (Kartenskizze 'Landreis Heilbronn' ohne Eintrag von Kirchardt/Berwangen, aus: ortsdienst.de/baden-wuerttemberg/landkreis-heilbronn).

 

Zu welchem Zeitpunkt sich die ersten jüdischen Familien im Dorfe Berwangen dauerhaft niedergelassen haben, ist nicht bekannt. Als sicher gilt aber, dass es die beiden reichsritterlichen Familien von Helmstadt und Berlichingen waren, die die ersten Juden hier aufnahmen. Früheste urkundliche Hinweise über Schutzjuden in Berwangen stammen von 1719. Ihren Lebensunterhalt bestritten die zunächst wenigen Familien mit dem Vieh- und Fruchthandel und mit kleiner Landwirtschaft.

Anfang der 1770er Jahre erhielten die jüdischen Dorfbewohner „auf deren untertäniges Bitten ... die gnädige Erlaubnis“ zum Bau einer „Judenschule“. Das zu diesem Zwecke von der Grundherrschaft zur Verfügung gestellte Grundstück samt Bauholz für das Bethaus musste durch die Zahlung eines jährlichen Synagogengeldes und durch Naturalabgaben abgegolten werden. Letztere wurden im Großherzogtum erst gegen Ende der 1820er Jahre per Gesetz aufgehoben. Anstelle des zu klein gewordenen Bethauses errichtete die relativ groß gewordene Landgemeinde im Jahre 1845 einen Synagogenneubau in der Badersgasse; ihm angeschlossen waren ein neues Schulhaus und eine Mikwe.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2018/Berwangen%20Synagoge%20001.jpg Synagoge (hist. Aufn., um 1930?, Sammlung J.Hahn)

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erwarb die Kultusgemeinde ein Bestattungsgelände am Rande des Ortes am Fürfelder Weg.

 Grabstelen (Aufn. M. Hahn, 2021, aus: commons.wikimedia.org, CCO)

Zuvor hatte man die verstorbenen Gemeindemitglieder auf den Verbandsfriedhöfen von Waibstadt bzw. Eppingen beerdigt.

Die jüdische Gemeinde gehörte zunächst zum Rabbinatsbezirk Sinsheim und seit 1827 zu dem von Bretten.

Juden in Berwangen:

         --- um 1730 ........................   2 jüdische Familien,

    --- 1809 ........................... 123 Juden (in 26 Familien),

    --- 1825 ........................... 120   “   (ca. 15% d. Bevölk.),

    --- 1838 ........................... 143   “  ,

    --- 1861 ........................... 194   “  ,

    --- 1875 ........................... 138   “   (ca. 14% d. Bevölk.),

    --- 1885 ........................... 152   “  ,

    --- 1900 ........................... 138   “  ,

    --- 1910 ........................... 119   “  ,

    --- 1925 ...........................  58   “  ,

    --- 1933 ...........................  33   “  ,

    --- 1940 (Jan.) ................ ca.  10   “  ,

             (Nov.) ....................  keine.

Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden, S. 43/44

 

Ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts war eine Auswanderung jüdischer Familien nach Nordamerika zu verzeichnen. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich die Abwanderung fort. Die jüdische Dorfbevölkerung verzog in umliegende Städte; insgesamt fast zwei Drittel verließen ihren Heimatort.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20333/Berwangen%20Postkarte%20180.jpg hist. Ansichtskarte, um 1900

Die in Berwangen verbliebenen Juden bestritten ihren Lebenserwerb zumeist mit dem Viehhandel. Als ihnen ab 1936 die Handelserlaubnis dazu entzogen wurde und sie damit ihre wirtschaftliche Existenz verloren, verließen auch sie ihr Dorf; die meisten emigrierten in die USA.

Während des Novemberpogroms zerstörten auswärtige SA-Angehörige den Innenraum der Synagoge - angeblich gegen den Widerstand des Bürgermeisters, der noch verhindern konnte, dass hier ein Brand gelegt wurde. Auch kam es zu Gewalttätigkeiten gegenüber den wenigen noch hier lebenden Juden und ihrem Eigentum. Im Rahmen der sog. „Aktion Bürckel“ wurden im Oktober 1940 die letzten neun noch in Berwangen lebenden jüdischen Bewohner deportiert; von ihnen fanden sechs einen gewaltsamen Tod.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich 52 gebürtige bzw. längere Zeit in Berwangen ansässig gewesene Bewohner mosaischen Glaubens Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/berwangen_synagoge.htm).

 

Nach 1945 kehrte ein jüdisches Ehepaar ins Dorf zurück.

Heute erinnert nur der jüdische Friedhof mit seinen ca. 100 Grabsteinen an die einstige israelitische Gemeinde des Dorfes. Ein hier aufgerichteter Gedenkstein ist den Opfern der NS-Verfolgung gewidmet.

Berwangen-judenfriedhof.jpg

Jüdischer Friedhof (beide Aufn. Peter Schmelzle, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Das an die einstige Synagoge angrenzende jüdische Schulgebäude - es wurde durch Umbauten verändert - dient heute Wohnzwecken, die Synagoge selbst wurde vermutlich 1939/1940 abgerissen.

             

                 Synagoge (links) und Schulhaus (rechts) – Rekonstruktionsskizze und Foto (Aufn. Oskar Föller, aus: alemannia-judaica.de)

Gedenkstein in Berwangen  Vier Jugendliche einer Konfirmandengruppe aus Berwangen schufen gemeinsam mit einem Steinmetz den Memorialstein für ihren Heimatort, der auf dem kommunalen Friedhof und als Doublette in der zentralen Gedenkstätte in Neckarzimmern aufgestellt wurde (Aufn. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).

 

 

 

Weitere Informationen:

Aus der Vergangenheit der jüdischen Gemeinde Berwangen, in: "Mitteilungsblatt des Oberrats", No.13/1961, No.7

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale - Geschichte - Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag Stuttgart 1968, S. 43/44

Paul Sauer, Die Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Württembergs während der nationalsozialistischen Verfolgungszeit 1933 - 1945, Stuttgart 1969

Gustav Neuwirth, Geschichte der Gemeinde Kirchardt und der Ortsteile Berwangen und Bockschaft, o.O. 1978

W. Angerbauer/H.G.Frank, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn. Geschichte - Schicksale - Dokumente, in: "Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn", Hrg. Landkreis Heilbronn, 1986, S. 46 - 50

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 232/233

Monika Preuß (Bearb.), Der jüdische Friedhof Kirchhardt-Berwangen, Unveröffentlichte Grunddokumentation des Landesdenkmalsamtes Baden-Württemberg, 1992

Peter Wanner, Erinnerungen an die jüdische Gemeinde von Berwangen, in: Berwangen Bockschaft Kirchardt - Ein 2. Heimatbuch 1993, S. 88 - 98

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 250 - 252

Berwangen, in: alemannia-judaica.de (mit diversen zumeist personenbezogenen Text- und vor allem zahlreichen Bildmaterialien zur jüdischen Ortshistorie)

Tanja Ochs (Red.), Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt, in: „Kraichgau Stimme“ vom 18.11.2013

Pfarrämter Kirchardt u. Berwangen (Bearb.), Mahnmal Gurs, online abrufbar unter: evki-kirchardt-berwangen.de (betr. Memorialstein für Neckarzimmern)